06 Jan
06Jan

(German original see below)

My favorite poet, the Japanese Zen master Daigu Ryōkan (1758-1831), lived a simple, austere, but very free life as a mendicant and hermit after his training in a Zen temple. His poetry is so wonderfully simple and rich at the same time. His words lead straight to the heart of life.

Ryōkan lived in a simple hut on Kugami Mountain. There he found the silence and solitude that he had been looking for for a long time. But he also received visitors and visited the surrounding villages himself on his begging hikes. He was very popular: the children especially loved him because he forgot everything else when he played with them.

I love Master Ryōkan. When I feel lonely, I read his poems. Then my mind becomes calm and clear, my heart full and joyful. And I'm starting to understand how loneliness can be a way:

Locked in
in the lonely mountains
I look sad
in the sleet driving outside.
The cry of a monkey
Echoes from the dark mountains,
A cold river
murmurs down in the valley,
the lamp at the window
seems frozen.
Also my inkstone
is ice cold.
No sleep tonight,
I will write poems
And warm the brush
with my breath.


* * *

Today I read a short biography about Chögyam Trungpa (1939-1987), the great master of Vajrayana Buddhism and his friendship with Suzuki Roshi (1904-1971), the great master of Zen Buddhism: “Suzuki Roshi and Trungpa Rinpoche were connected also through the disappointments and loneliness that they both felt as they moved through this spiritual jungle and did their best to guide others through it too." (Spiritual jungle = the confusing range of - good and bad – spiritual schools in the USA in the 60s and 70s of the previous century.)

Ryōkan had a similar experience of loneliness almost 200 years ago:
In this world,
would there be someone
with a kindred spirit –
We could chat all night long,
in my little hut.


In psychological dictionaries and guides, loneliness is described as a painful, only negative feeling:
“Loneliness is a subjective feeling in which one's social relationships do not correspond to one's personal wishes and needs. For example, for some, loneliness can mean a perceived lack of close, emotional connections. For others, loneliness arises when they have less contact with other people than they would like.” Long-term loneliness can lead to various illnesses.

I can understand that loneliness is usually only perceived negatively. For me, however, loneliness, although painful, is above all a call to see and feel more deeply.

* * *

In front of my closed door,
fallen pine needles:
How lonely I feel...

Ryokan

During the time when Master Ryōkan lived in the Gogo-an hermitage on Kugami Mountain, he wrote his many poems and calligraphies.
Ryōkan knew loneliness, pain, illness, sadness and darkness, but unlike many other Zen masters, he did not hide this side of our humanity. He faced these painful experiences with an open mind and heart:

If you face harm,
it is good to face harm.
When you die,
it's good to die.
This is the wonderful way
to escape the harm.


This is how I face loneliness.
And then the loneliness becomes a longing for love.
And from this longing for love, love is born.
From the longing for shared love, for shared abundance of beauty, joy, wonderful ideas and actions, a peaceful feeling of unity arises with all those known and unknown souls whose closeness I so desire.
And then, miraculously, they are there in the heart - and only in the heart is true closeness possible, only closeness in the heart can overcome the feelings of distance, of separation, of loneliness.

If your heart
Stays true to itself.
This is how we will be so firmly connected

For endless times.

Ryōkan 

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Einsamkeit – ein Weg zum Herzen 

Mein Lieblingsdichter, der japanische Zen-Meister Daigu Ryōkan (1758-1831) lebte nach seiner Ausbildung in einem Zen-Tempel ein einfaches, entbehrungsreiches, aber sehr freies Leben als Bettelmönch und Einsiedler. Seine Poesie ist so wundersam einfach und reich zugleich. Seine Worte führen direkt in das Herz des Lebens. 

Ryōkan lebte in einer einfachen Hütte am Kugami-Ber. Dort fand er die Stille und Einsamkeit, die er lange gesucht hatte. Doch er empfang auch Besucher und besuchte auf seinen Bettelwanderungen auch selbst die umliegenden Dörfer. Er war sehr beliebt: besonders die Kinder liebten ihn, denn er vergass beim Spiel mit ihnen alles andere. 

Ich liebe Meister Ryōkan. Wenn ich mich einsam fühle, lese ich seine Gedichte. Dann wird mein Geist ruhig und klar, mein Herz erfüllt und glücklich. Und ich beginne zu verstehen, wie Einsamkeit ein Weg sein kann:   

Eingeschlossen
    in den einsamen Bergen 
Schaue ich traurig
    in den draußen treibenden Schneeregen. 
Der Schrei eines Affen
    Hallt von den dunklen Bergen wider, 
Ein kalter Fluss
    murmelt unten im Tal, 
die Lampe am Fenster
    scheint eingefroren. 
Auch mein Tintenstein
    ist eiskalt. 
Kein Schlaf heute nacht,
    ich werde Gedichte schreiben 
Und wärme den Pinsel
     mit meinem Atem. 

*   *   * 

Heute las ich einer Kurzbiographie über Chögyam Trungpa (1939-1987), dem großen Meister des Vajrayana-Buddhismus und seine Freundschaft mit Suzuki Roshi (1904-1971), dem großen Meister des Zen-Buddhismus: „Zu den Gemeinsamkeiten, die Suzuki Roshi und Trungpa Rinpoche miteinander verbanden, gehörten nicht zuletzt auch die Enttäuschungen und die Einsamkeit, die sie beiden empfanden, während sie sich durch diesen spirituellen Dschungel bewegten und ihr Bestes taten auch andere durch ihn hindurchzugeleiten.“  (Mit spirituellem Dschungel ist das unübersichtliche Angebot an – guten und schlechten – spirituellen Schulen in den USA in den 60er und 70er Jahren des vorherigen Jahrhunderts gemeint.) 

Eine ähnliche Erfahrung der Einsamkeit macht auch Ryōkan, knapp 200 Jahre zuvor:
In dieser Welt, 
gäbe es jemanden mit verwandtem Geist –  
Wir könnten plaudern, die ganze Nacht hindurch, 
in meiner kleinen Hütte. 

In psychologischen Wörterbüchern und Ratgebern wird Einsamkeit als schmerzhaftes, nur negatives Gefühl beschrieben: „Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, bei dem die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Zum Beispiel kann Einsamkeit für manche einen empfundenen Mangel an engen, emotionalen Bindungen bedeuten. Für andere entsteht Einsamkeit, wenn sie weniger Kontakt zu anderen Menschen haben, als sie es gerne möchten.“ Langandauernde Einsamkeit könne zu verschiedenen Krankheiten führen. 

Ich kann verstehen, dass Einsamkeit tatsächlich meist nur negativ empfunden wird. Für mich ist Einsamkeit jedoch, obschon schmerzhaft, vor allem ein Ruf, tiefer zu schauen und zu empfinden. 

*   *   * 

Vor meiner geschlossenen Tür, 
abgefallene Kiefernadeln: 
Wie einsam ich mich fühle… 
Ryōkan 

In der Zeit, als Meister Ryōkan in der Gogo-an-Klause am Kugami-Berg lebte, entstanden seine vielen Gedichte und Kalligrafien. Ryōkan kannte Einsamkeit, Schmerz, Krankheit, Trauer und Dunkelheit, doch im Unterschied zu vielen anderen Zen-Meistern verbarg er diese Seite unseres Menschseins nicht. Er begegnete diesen schmerzhaften Erfahrungen mit offenem Geist und Herz:
Wenn du einem Unheil begegnest, 
ist es gut, dem Unheil zu begegnen. 
Wenn du stirbst, 
ist es gut zu sterben. 
Dies ist die wunderbare Weise, 
dem Unheil zu entrinnen. 

Auf diese Weise begegne ich der Einsamkeit. Und dann wird aus der Einsamkeit – Sehnsucht nach Liebe.
Und aus dieser Sehnsucht nach Liebe gebiert sich die Liebe.
Aus der Sehnsucht nach geteilter Liebe, nach gemeinsam gelebter und geteilter Fülle an Schönheit, Freude, wunderbaren Ideen und Taten entsteht ein stilles Einheitsgefühl mit all jenen bekannten und unbekannten Seelen, deren Nähe ich mir so wünsche. 

Und dann sind sie auf wundersame Weise da im Herzen – und nur im Herzen ist wahre Nähe möglich, nur die Herzensnähe kann die Gefühle der Ferne, des Getrenntseins, der Einsamkeit überwinden. 

Wenn dein Herz 
Sich treu bleibt, 
So werden wir so fest verbunden sein 
 
Für endlose Zeiten. 
Ryōkan

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